Dorothea Studthoff

Romeo und Romeo

  • 25.06.2015, 11:35

Eine große Liebe, die sich über mehrere Jahrzehnte und Länder, verschiedene Karrierestufen und Lebensverhältnisse hinweg zieht, lebensbestimmend ist, ewig Sehnsucht nach ihrer Erfüllung produziert und doch nie wirklich sein kann. Denn die zwei, die sich in „Herrlichkeit“ lieben, sind zwei Männer.

Eine große Liebe, die sich über mehrere Jahrzehnte und Länder, verschiedene Karrierestufen und Lebensverhältnisse hinweg zieht, lebensbestimmend ist, ewig Sehnsucht nach ihrer Erfüllung produziert und doch nie wirklich sein kann. Denn die zwei, die sich in „Herrlichkeit“ lieben, sind zwei Männer.

Die Verhältnisse stehen gegen sie, wie das nun mal bei jedem großen Liebespaar der Fall ist. Dazu passt, dass „Herrlichkeit“ von Margaret Mazzantini ein ungemein klassischer, fast schon konventioneller Roman ist. Guido als Ich-Erzähler breitet sein Leben aus, geradlinig ohne formale Auffälligkeiten und Ausbrüche. Beeindruckend zurückhaltend, könnte man das nennen. 

Guido wächst Mitte des 20. Jahrhunderts in einem akademischen Haushalt ohne elterlichen Halt in einem Palazzo in Rom auf, Constantino in dessen Keller als Sohn des Pförtners. Nach einer sehr innigen Begegnung der beiden auf einer Klassenfahrt kreist Guidos ganzes Leben um seine Liebe zu Konstantin, manchmal in weiten, manchmal in engen Bögen. Ob in Rom oder London, ob verheiratet, mit Kind, als Student, als Professor der Kunstgeschichte, in Krankheit und Gesundheit.

Das macht es diesem Leben natürlich schwer, sich als reine Freude zu präsentieren. Dass Constantino dabei etwas blass bleibt und sein Leben als Koch und Restaurantbesitzer (und ebenfalls Ehemann) vor allem das Gegenstück zu Guidos akademischer Karriere markiert, mag der Erzählform geschuldet sein, ein unbekanntes Muster ist es aber nicht. Hier ist alles aus einem Guss: die lückenlose Erzählweise, das runde Sprachbild, dessen Metaphern nur vereinzelt leicht ins Kitschige kippen und die Zeitbezüge, die immer wieder eingeflochten werden, beispielsweise das U-Bahn-Attentat in London. Bücher und Lieder werden auf eine Art und Weise erwähnt, die diese Methode nicht zum Selbstzweck machen, sondern eine Art von Realitätsnähe beim Lesen kreieren, die man schätzt oder auch nicht.

Eine melancholische Liebesgeschichte, deren teilweise durchaus kreischende Tragik gedämpft wird durch den ruhigen, reflektierenden Erzählton.

Margaret Mazzantini: „Herrlichkeit“
DuMont, 500 Seiten, 23,70 Euro, eBook 17,99  Euro

 

Dorothea Studthoff studierte Germanistik und Skandinavistik in Freiburg und betreibt das Blog ,,Hauptsache: fadengeheftet“.

Haut drauf. Und rein.

  • 11.05.2015, 08:36

Buch-Rezension

Buch-Rezension 

Manche Bücher stürzen sich mit gefletschten Zähnen auf ihre Geschichten. Sie ringen souverän mit ihnen und präsentieren sich schließlich als überlegene Gewinnerin: blutverschmiert, zerzaust, genüsslich eine Siegeszigarre im Mundwinkel rauchend. „Nördlich der Mondberge“ ist so eins. Eine Frau um die 30 wird nach zehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen und versucht wieder auf die lädierten Beine zu kommen.

Weil ihr Leben von Chaos, Gewalt und der Egomanie ihrer Mutter bestimmt war, ist das alles nicht so einfach. Darum fährt sie bei der ersten Gelegenheit nach Afrika, dem Sehnsuchtsort ihrer Kindheit, wo sie mit Speer bewaffnet als Kriegerin verkleidet durch die Nachbar_innenschaft rannte und sich selbst rituelle Narben ins Gesicht ritzte. Mit einem Lineal.

Das klingt nach tränendrüsigem Sozialdrama, ist aber keines. Dafür sorgen die zerstückelte Chronologie der Ereignisse, der Humor und die Dynamik der eigenwilligen Sprache. Es spricht eine Protagonistin mit vielen Namen, und je älter sie wird, desto weniger werden die verschluckten Silben und die verdrehte Grammatik. Ein Trick, der eine_n nie die zeitliche Orientierung verlieren lässt. Es zieht eine_n brachial in diese Erzählung und vor allem diese Person hinein, und das, obwohl Louise/Beverly/Dawn et cetera am Ende des Buches jede Menge Blut an den Händen klebt. Dafür ist ihr Blick auf die Menschen manchmal von bezaubernd liebevoller Nüchternheit: „Er lacht. Klingt wie was Schweres, was die Treppe runterfällt.“

Weder Opfer noch Engel noch Superheldin: Hier prügelt sich eine saucoole Frauenfigur durch die Verhältnisse und lässt manchmal geschliffene Weisheiten raus, die den galoppierenden Lesefluss ruckartig zum Halten bringen. „Wenn ich nicht so sprechen würde, wie ich spreche, gäbe es mich gar nicht mehr.“ Egal, ob die Protagonistin einen Betrüger verdrischt (Aua!) oder ein Pferd aus einem Bungalow befreit, I.J. Kay hat Story und Struktur fest im Griff. Ein gesplitterter Roman über eine gesplitterte Person, aber jeder Splitter liegt dort, wo er hingehört.

I.J. Kay: „Nördlich der Mondberge“
Kiepenheuer & Witsch, 464 Seiten
23,70 Euro
erscheint am 11. 5. 2015

 

Dorothea Studthoff studierte Germanistik und Skandinavistik in Freiburg und betreibt das Blog „Hauptsache: fadengeheftet“.